Dienstag, 23. November 2010

Software Architektur im Großen - wie überzeuge ich nur die Mannschaft?

Liebe Leser!

Zur Zeit darf ich eine große Organisation bei Ihren Bemühungen um eine unternehmensweite Architekturinitiative unterstützen. Hier wird versucht, eine Enterprise Architektur aus der gegebenen Landschaft zu extrahieren und zu kartographieren. Neben der Ist-Darstellung gibt es auch bereits eine Soll-Darstellung. Gleichzeitig wird die Software Architektur der bestehenden Applikationen (und das sind nicht 2 oder 3 oder 30, sondern viel mehr) rekonstruiert ("Architektur-Rekonstruktion" - mein Part) und mit dem Gesamtbild in Einklang gebracht - alles in allem also eine vorbildliche Initiative.

In der Diskussion entstand dann die interessante Frage, wie wohl die Unterstützung der Mannschaft dafür gewonnen werden kann, da bei der Einbeziehung von Mitarbeitern auf Produktebene vornehme Zurückhaltung bis leichter Widerstand ("na wenn wir das jetzt auch noch tun sollen, verschieben sich aber A, B und C...") zu spüren war.

Jetzt ist es zweifelsfrei so, dass man alles verkaufen muss, auch Architektur (vgl.etwa [Peter Hruschka]), jedoch möchte ich doch meine Meinung zu diesem Punkt in den folgenden Bullets anführen:

  • Architekturmanagement ist keine Schönheitsdisziplin als Antithese zu "Wir sind auch bisher ohne Architektur ausgekommen" (Architektur-Agnostik)
    • Stadtplanung ohne Architektur führt zum selben Ergebnis wie Softwareentwicklung ohne Architektur: zu beliebiger, heterogener, emergenter und teilweise stark suboptimaler Anordnung von Bauelementen mit Problemen in der Pflege und Weiterentwicklung bzw. Skalierung.
    • Skalierung ohne Architektur ist jedenfalls ein Abenteuer, wie man an vielen Ghettos rund um Großstädte sehen kann - oder eben auch in stark gewachsenen Softwareapplikationen bzw. Applikationslandschaften. Jedoch muss man auch sehen, dass das Gegenteil von vollständiger Abwesenheit, also z.B. künstliche Städte vom Reißbrett, noch keinen Ästheten vom Hocker gehauen hat...
    • Wer also glaubt, man könne ganz ohne Architektur-Fokus auskommen, sollte sich nicht wundern, wenn die Organisation bald ohne ihn auszukommen versucht...
  • Der CIO ist für das "Herunterbrechen der Architektur-Ziele auf die Mitarbeiterebene" verantwortlich als Analogon zu "Umsatzziele werden ja auch auf den einzelnen Verkäufer herunter gebrochen"
    • Jedem ist ungefähr klar, wie Umsatzziele aufgeteilt werden, um sie schlussendlich hoffentlich zu erreichen. Bei Architekturzielen fragt man sich jedoch, wie die Mannschaft davon zu überzeugen wäre.
    • Ich meine, wir haben es hier mit einem Analogon zu tun und muss es auch so behandeln. Ein Kompetenzcenter Architektur unterstützt den CIO (oder auch CTO) bei der Definition und Kommunikation der Maßnahmen, auf die Reise in die Linie schicken muss diese Maßnahmen aber der CIO - das ist sein Job!
  • Die Wertschöpfung aus Architekturmaßnahmen muss und darf nicht nur langfristig erkennbar sein als Gegenpol zu "Wer macht die schönere Kosten/Nutzen Aufstellung"
    • Die Gefahr ist nicht, dass Investitionen in Architektur möglicherweise nicht ganz die erhofften Erwartungen treffen, sondern, dass Budget investiert wird und nach 2-3 Jahren gar nichts dabei heraus schaut. Das passiert, wenn etwa das Budget für die Quersubventionierung von anderen Schmerzbereichen verwendet wird, oder nur tote Dokumentation ohne Chance auf Wartung erstellt wird.
    • Man kann auch kurzfristige Benefits ins Rennen schicken, dafür eignet sich z.B. der Ist/Soll Vergleich sehr gut, da er den Ausgangspunkt und das Ziel visuell darstellt. Für viele Mitarbeiter offenbart sich hier erstmals das Gesamtbild der Applikationslandschaft und schafft die Basis für die Motivation, den Status Quo zu verändern.
  • Eine Kultur der Architektur als Gegenbewegung zu "Ich muss mich immer für Architekturmaßnahmen rechtfertigen!"
    • Meiner Meinung nach ist die Migration in eine Kultur des Architekturverständnisses dann erreicht, wenn nicht der, der sich Zeit für Architektur nimmt, eine Ausrede suchen muss ("ja hast du denn nichts Besseres zu tun?"), sondern der, der Architekturmaßnahmen unterlässt. Für eine Unterlassung gibt es auch immer Gründe, wie das allseits bekannte "Es muss aber unbedingt nächsten Ersten ausgeliefert werden!". Realität schafft Fakten. Punkt. Dann muss man es auf das "Schulden in der Zukunft" Konto laden und später behandeln. Nur vergessen sollte man es nicht.
Zusammenschau:

Im klassischen Umfeld:
Es bedarf meines Erachtens sowohl des Verständnisses als auch des sanften Drucks - oder positiv formuliert - der Motivation, um Bemühungen zu fokussieren und das Vorhaben auf die Reise zu schicken. Wer an Architektur als Freifach oder Kür glaubt, ist meines Erachtens blauäugig und wird auf Dauer zur Gefahr für den nachhaltigen Erfolg.

Und im agilen Umfeld?
Hier kommt der Druck aus dem Team selbst, sofern es die Wichtigkeit verstanden hat und die Relation zum geschaffenen Wert hergestellt ist. Agile Vorgehensweisen sind Wertmaximierer, und wenn ein Wert zu erkennen ist, müssen die Aktionen diesen auch berücksichtigen - ihn also "schöpfen".

Ich hoffe, das Thema ist für Euch genauso spannend wie für mich!

Euer
JWR@coopXarch.

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